Christopher Stasheff
Zauberer von den Sternen


Titel des Originals: THE WARLOCK IN SPITE OF HIMSELF

1. TEIL — BESUCH BEI EINER KLEINEN KÖNIGIN


Der Asteroid kam vom Steinbock herbeigebraust, suchte sich eine Sonne vom G-Typ und schwenkte zum fünften Planeten ein. Eine solche Flugbahn ist für Asteroiden alles andere als normal.

Mit großer Heftigkeit drang er in das Schwerefeld des Planeten ein, umrundete ihn in drei verschiedenen Orbits und schoß erst dann als herrliche Sternschnuppe hinunter in die Atmosphäre.

In einer Höhe von dreihundert Metern hielt er an, ehe er sich hinab auf die Oberfläche senkte — aber tatsächlich nur auf die Oberfläche. Er veranstaltete kein Feuerwerk, hob keinen Krater aus, lediglich das Gras zerdrückte er. Seine eigene Oberfläche war narbig und von der Reibungshitze seines Falles geschwärzt, aber intakt.

Tief in seinem Innern echoten die Worte, die das Geschick des Planeten verändern würden.

„Bei dir ist wohl wieder mal die Sicherung durch!“

Der Besitzer dieser Stimme runzelte lauschend die Stirn.

Tatsächlich war es in der Kabine völlig still, ohne das übliche Hintergrundsummen.

Der junge Mann fluchte und riß sich den Druckgurt vom Leib.

Er erhob sich taumelnd aus dem Schutzsitz, balancierte ein wenig schwindelig auf den Fußballen und tastete um sich, bis seine Hand die Kunststoffwand berührte.

Mit seiner Hand als Stütze stolperte er zu den Armaturen an der anderen Seite der runden Kabine. Wie ein Raumfahrer alter Schule löste er fluchend die Arretierungen, öffnete das Armaturenbrett und drückte auf einen Knopf. Als er sich umdrehte, fiel er fast ohne sein Zutun wieder in den Sitz. Das sanfte Summen erwachte in der Kabine. Eine kaum zu verstehende Stimme erkundigte sich mit wechselnder Sprechgeschwindigkeit und Tonhöhe: „liist ahhlees (hick!) ssuufriideensteeleend — Miiloord Roodney?“

„Bei all den glatten polierten Robotern in der Galaxis“, brummte Rodney, „mußte ausgerechnet ich einen Epileptiker bekommen!“

„Ween Sii mööchteen, Miiloord, meiinee Peersöönliichkeiit kaan auusgeetauuscht…“

„Ja, ich weiß“, knurrte Rodney. „Deine Schaltkreise können herausgerissen und umfunktioniert werden. Nein, danke! Ich bin mit dir, so wie du bist, recht zufrie den — außer wenn du, wie gerade, eine Landung baust, die mir das Schlüsselbein ausrenkt.“

„Ween Miiloord miir veerseiit geenauu um Auugeenbliik dees Plaaneeteenfaals eemfiing üch eiiniigee seehr uungeewööhnliichee Raadiiooweeleen, diie…“

„Du wurdest abgelenkt, ist es das, was du ausdrücken willst?“

„Miiloord, ees waar uunbeediingt eerfoordeerliich, diie Aanaalyysee…“

„Also studierte ein Teil von dir die Radio wellen, und ein anderer nahm die Landung vor. Das war ein kleines bißchen zuviel für dich, und der schwache Kondensator spielte verrückt… Gekab, wie oft muß ich dir noch sagen, dich ganz auf eine Aufgabe zu konzentrieren!“

„Miiloord äuuseertee deen Wuunsch, ees deen Heeldeen deer „Den Helden der Raumfahrt gleichzutun, ja. Aber das heißt noch lange nicht, daß ich auch ihre Unbequemlichkeiten auf mich nehmen möchte.“

Gekabs elektronisches System hatte sich inzwischen fast von der Erschöpfung erholt, die gewöhnlich eine Nachwirkung seiner schlimmeren Anfälle war.

„Aaber, Miilord, Heeld zu sein, schließt…“ „Vergiß es!“ Rodney stöhnte auf. Gehorsam löschte Gekab diesen Teil seiner Speicherdaten. Gekab war sehr pflichtbewußt. Er war eine Antiquität, einer der wenigen noch übriggebliebenen GKB (getreuer kybernetischer Begleiter), ein frühes Modell, das seit zweitausend Jahren nicht mehr hergestellt wurde. Die GKB-Roboter waren auf äußerste Loyalität programmiert und infolgedessen massenweise vernichtet worden, als sie ihre Herren zur Zeit des blutigen Interregnums — zwischen dem Zusammenbruch der alten Galaktischen Union und dem Aufstieg von PEST, des Proletarischen Eklektischen Staates von Terra — beschützten. Gekab (von der Abkürzung GKB) hatte dank seiner Epilepsie überlebt. Er hatte einen schwachen Kondensator, der, wenn überlastet, seine aufgespeicherte Energie in einem gewaltigen Schwall — das dauerte gewöhnlich mehrere Millisekunden — freigab. Beim Auftreten der vorausgehenden Symptome dieses elektronischen Anfalls — sie machten sich hauptsächlich durch Gekabs Schwerfälligkeit bei Berechnungen bemerkbarsprang ein Hauptschaltkreisunterbrecher heraus, und der schadhafte Kondensator entlud sich getrennt vom Rest der Schaltkreise; jedenfalls war der Roboter außer Betrieb, bis der Schaltkreisunterbrecher wieder eingerastet war. Da solche Anfälle gewöhnlich in Momenten großer Beanspruchung erfolgten — wie beispielsweise, wenn Gekab einen Raumschiffasteroiden landete und gleichzeitig eine aberrierende Radiowelle analysierte, oder beim Versuch, seinen Herrn vor drei im selben Augenblick zuschlagenden Mördern zu schützen —, hatte Gekab das Interregnum überstanden. Denn als die Proletarier seine Herren angriffen, hatte er mannhaft fünfundzwanzig Sekunden lang gekämpft, bis er zusammenbrach. So war er zur Rarität geworden — der mutige Diener, der überlebt hatte. Er war einer von nur noch fünf funktionsfähigen GKB-Robotern — und deshalb ein nicht mit Geld aufzuwiegendes Erbstück der Familie d'Armand —, hochgeschätzt als Antiquität, doch mehr noch seiner Loyalität wegen, denn wahre Treue gegenüber Adelsfamilien war immer selten gewesen.

Als Rodney d'Armand sein Vaterhaus verlassen hatte, um ein Leben des Ruhmes und Abenteuers zu führen — als zweiter Sohn eines zweiten Sohnes gab es nicht viele andere Möglichkeiten für ihn —, hatte sein alter Herr darauf bestanden, daß er Gekab mitnahm.

Rod war oft schon sehr froh über Gekabs Gesellschaft gewesen, aber hin und wieder gab es Zeiten, da der Roboter sich als nicht gerade feinfühlig erwies. So hatte er doch tatsächlich die Nerven, nach einer unangenehmen Landung, wenn der menschliche Magen bis zum Hals hochzusteigen scheint, zu fragen: „Möchten Sie dinieren, Mylord? Wie wäre es mit Langusten und Spargel?“

Rods Gesicht wurde fahlgrün. Er biß die Zähne zusammen und bemühte sich, den Mageninhalt zurückzuhalten. „Nein!“ knirschte er. „Und hör endlich mit dieser Mylorderei auf. Wir sind auf einer Mission, oder hast du das vergessen?“

„Ich vergesse nie, Rod, außer wenn man es mir befiehlt.“

„Ich weiß“, knurrte sein Herr und Meister. „Es war auch nur figürlich gesprochen.“

Rod erhob sich ächzend. „Ich könnte ein bißchen frische Luft vertragen, um meinen Magen zu beruhigen, Gekab. Gibt es eine?“

Der Roboter klickte kurz, dann meldete er: „Atmosphäre atembar. Aber es ist besser, Sie ziehen einen Pullover an.“

Brummelnd schlüpfte Rod in seine Pilotenjacke.

„Weshalb entwickeln alte Familienbedienstete immer einen Gluckenkomplex?“

„Rod, wenn Sie schon so lange lebten wie ich…“

„Hätte ich keinen anderen Wunsch, als mich deaktivieren zu lassen. Ja, ja, ich weiß schon:,Ein Roboter hat immer recht! Öffne die Schleuse, Gekab.“

Die Doppeltür der kleinen Luftschleuse schwang auf und offenbarte einen kreisrunden Ausschnitt sternen-besetzter Schwärze. Ein kühler Wind blies in die Kabine. Rod legte den Kopf zurück und atmete tief ein. Genußvoll schloß er die Augen. „Ah, der gesegnete Odem des Landes! Was lebt hier, Gekab?“

Maschinerie summte, als der Roboter die Elektronenteleskopbänder zurückspielte, die sie im Orbit aufgenommen hatten und die die Bilderdaten zu einer verständlichen Beschreibung des Planeten integrierten. „Die Landmassen bestehen aus fünf Kontinenten, einer Insel von beachtlicher Größe, und einer Anzahl kleinerer Inseln. Die Kontinente und kleinen Inseln weisen in etwa die gleiche Flora auf— sie kommt einem äquatorialen Regenwald nahe.“ „Selbst an den Polen?“

„Ab einer Entfernung von etwa hundertfünfzig Kilometern. Die Polklappen sind erstaunlich klein. Die sichtbare Fauna beschränkt sich auf Amphibien und eine Unzahl von Insekten. Es ist anzunehmen, daß die Gewässer reich an Fischen sind.“

Rod rieb sich das Kinn. „Hat ganz den Anschein, als befinde der Planet sich in einer ziemlich frühen geologischen Entwicklungsstufe.“

„Steinkohlenzeit“, bestätigte der Roboter. „Und wie sieht es auf der großen Insel aus? Da sind wir doch gelandet, oder?“

„Richtig. Hier gibt es keine einheimische Flora und Fauna. Alle Lebensformen sind typisch für die des späten terranischen Pleistozäns.“ „Wie spät?“

„Menschheitsgeschichtlich.“

Rod nickte. „Mit anderen Worten, eine Gruppe von Kolonisten kam hierher, eignete sich die Insel an, rottete die einheimische Flora und Fauna aus und siedelte terranische Tiere und Pflanzen an. Hast du eine Ahnung, weshalb sie ausgerechnet diese Insel auswählten?“

„Sie ist groß genug für eine annehmbare Bevölkerungszahl, und klein genug, daß die Probleme der ökologischen Angleichung minimal bleiben. Außerdem liegt die Insel in einer polaren Meeresströmung, die die vorherrschende Temperatur etwas unterhalb des terranischen Mittelwerts senkt.“

„Sehr günstig. Das erspart ihnen die Unannehmlichkeiten der Klimakontrolle. Irgendwelche Überreste, die auf Städte der Galaktischen Union hinweisen?“ „Keine, Rod.“

„Keine?“ Rods Augen weiteten sich vor Überraschung. „Das paßt aber so gar nicht recht ins Bild. Bist du sicher, Gekab?“ Das Entwicklungsmuster einer verlorenen oder abgeschnittenen Kolonie — also einer, die seit Jahrtausenden und mehr von der galaktischen Zivilisation getrennt war — unterschied drei deutlich gekennzeichnete Stadien. Erstens das der Gründung der Kolonie um eine moderne Stadt mit hochentwickelter Technologie. Zweitens, das Versagen der Kommunikationsmittel und so die Trennung von der galaktischen Kultur, gefolgt von einer Übervölkerung der Stadt, die zu einer Massenauswanderung ins Land ringsum führte und zu einer agrarischen Selbstversorgung. Und drittens, der Schwund und Verlust technologischer Kenntnisse, die in steigendem Maße von Aberglauben begleitet wurden. Dieser Aberglaube belegte schließlich auch die Dampfmaschinentechnologie mit einem Tabu und verbot sie. Die Gesellschaftsordnung erstarrte, und allmählich entwickelte sich ein Kastensystem. Kleidung und Architektur wurden mit der Zeit zu Karikaturen der in der Galaktischen Union üblichen, wie beispielsweise kleine halbkugelförmige Holzhäuser den gewaltigen galaktischen, geodätischen

Kuppeln nachgeahmt wurden.

Doch immer blieben Ruinen der Stadt zurück, die als ständiges Symbol und Basis einer Mythologie galten.

„Bist du wirklich sicher, Gekab? Ganz und völlig sicher, daß nirgends Überreste einer Stadt zu finden sind?“

„Ich bin immer sicher, Rod.“

„Hm, das stimmt.“ Rod zupfte an seiner Unterlippe.

„Manchmal irrst du dich zwar, aber von Zweifeln bleibst du verschont. Also legen wir die Sache mit der Stadt einstweilen ad acta. Vielleicht versank sie in einer Flutwelle. Wir wollen uns vorsichtshalber noch ein letztesmal vergewissern, daß die Lebensformen hier auch tatsächlich terranischen Ursprungs sind.“

Kopfüber tauchte Rod durch den Einmeterkreis der Schleuse.

Er schlug einen Purzelbaum und landete auf den Knien.

Bedachtsam holte er das Partisanenmesser aus seiner vom Gürtel hängenden Hülle.

Die Scheide war ein schlanker Kegel aus weißem Metall mit einem kleinen Kopf an der Spitze. Rod zupfte mehrere Grashalme aus dem Boden, schob sie in die Scheide und drehte den Knopf. Der Miniaturempfänger, der in die Seiten eingebaut war, untersuchte das Gras mit Schallwellen, um seine Molekularstruktur zu analysieren, und übermittelte die Daten an Gekab, der überprüfte, ob irgendwelche Moleküle für den menschlichen Metabolismus unverträglich waren. Wäre das Gras für Rod giftig gewesen, hätte Gekab der Hülle ein Signal gesendet, woraufhin das weiße Metall sich purpur verfärbt hätte.

Aber in diesem Fall blieb die Scheide silbern.

„Das ist der Beweis!“ erklärte Rod. „Es ist terranisches Gras, höchstwahrscheinlich von Terranern geflanzt, und das Ganze ist eine terranische Kolonie. Aber wo ist die Stadt?“

„Im Vorgebirge einer Bergkette im Norden befindet sich eine große Stadt mit etwa dreißigtausend Einwohnern.“

„Hm…“ Rod rieb sich das Kinn. „Das ist zwar nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber doch besser als nichts. Wie sieht sie denn aus?“

„Sie liegt an den unteren Hängen eines ziemlich großen Berges, von dessen Kuppe sich ein Bauwerk erhebt, das an terranische Burgen des Mittelalters erinnert.“ „Des Mittelalters?“ Rod runzelte die Stirn. „Die Stadt selbst besteht aus mit Stukkatur verzierten Holzhäusern, deren erster Stock über die schmalen Straßen — Gassen wäre zutreffender — hinausragt.“ „Holz und Stukkatur!“ Rod stand auf. „Warte mal! Warte! Gekab, sag mal, erinnert diese Architektur dich an was?“ Der Roboter schwieg einen Augenblick, dann erwiderte er: „Nordeuropäische Renaissance.“

„Das“, murmelte Rod, „ist absolut nicht der typische Stil einer abgeschnittenen Kolonie. Wie sehr ähnelt diese Architektur terranischer Renaissance, Gekab?“

„Sie ist ihr bis ins letzte Detail angeglichen.“ „Also Absicht! Was ist mit der Burg? Ist sie auch Renaissance?“ Wieder schwieg der Roboter einen Moment. „Nein, Rod. Sie könnte eine genaue Kopie der im dreizehnten Jahrhundert in Deutschland üblichen Burgen sein.“

Rod nickte eifrig. „Wie sieht es mit der Mode aus?“ „Wir befinden uns augenblicklich auf der Nachtseite des Planeten, genau wie bei der Landung. Die drei Trabanten des Planeten sorgen zwar für eine gute Beleuchtung, aber es sind verhältnismäßig wenige Personen unterwegs… Allerdings sehe ich einen kleinen Trupp Soldaten — Reiter — auf terranischen Pferden. Ihre Uniformen sind exakte Kopien der — uh — englischen Beefeaters, also der königlichen Leibwache im Tower.“ „Sehr gut! Sonst noch jemand auf der Straße?“ „Hm… Ein paar Männer mit Umhängen über engen Wämsern und Beinkleidern, glaube ich, und — ja, eine kleine Gruppe von Landleuten, die Kittel und Kniehosen mit auf der Brust überkreuzten

Hosenträgern anhaben…“

„Das reicht“, unterbrach ihn Rod. „Das ist ein Gemisch aus den verschiedensten Stilrichtungen. Jemand hat versucht, sich hier seine Vorstellung einer Idealweit aufzubauen. Gekab, hast du schon mal von den Emigranten gehört?“

Erneut schwieg der Roboter kurz, um sich in seine Datenbänke zu vertiefen, dann leierte er: „Gegen Ende des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts gab es zahllose Unzufriedene, die ihres Lebens überdrüssig wurden. Sie wandten sich in erster Linie dem Mystizismus zu, in zweiter der Fluchtliteratur und den Vergnügungen. Allmählich wurde das Pseudomittelalter die vorherrschende Interessensbasis.

Schließlich legte eine Gruppe wohlhabender Bürger ihr Vermögen zusammen. Sie erstanden einen ausrangierten Linienraumer, und verkündeten der Welt, sie seien die Romantischen Emigranten, die die Herrlichkeit des Mittelalters auf einem unbesiedelten Planeten neu aufleben lassen wollten. Sie erklärten sich auch bereit, eine beschränkte Zahl von Emigranten als Leibeigene und Kleinhändler mitzunehmen. Es meldeten sich weit mehr Interessenten, als auf dem Schiff untergebracht werden konnten. Und so wurden die Emigranten nach ihrer,Seelenpoesie' ausgewählt — was immer das heißt!“ „Es bedeutet, daß sie sich gern Schauermärchen anhörten“, erklärte Rodney. „Und wie ging es weiter?“ „Die Passagierliste war schnell zusammengestellt. Die dreizehn Bonzen, die die Väter der Expedition waren, gaben bekannt, daß sie ihre Nachnamen ablegen und dafür die Familiennamen großer Geschlechter des Mittelalters annehmen würden, wie Bourbon, Medici, und so weiter.