Für Michael Thomas, meinen literarischen Agenten, Mentor und Freund, der mich die ersten dreißig Jahre meiner professionellen Schriftstellerei hindurch geführt hat.



Die Finsternis bringt eher unsere Ängste ans Licht, als daß sie sie zerstreut.

Lucius Annaeus Seneca d.J. (um 4 v. Chr. - 65 n. Chr.)


Historische Anmerkung

Die Kriminalromane um Schwester Fidelma spielen hauptsächlich in Irland um die Mitte des siebenten Jahrhunderts.

Schwester Fidelma ist nicht nur eine Nonne, die früher der Gemeinschaft der heiligen Brigitta von Kildare angehörte. Sie ist auch eine anerkannte dalaigh, eine Anwältin bei Gericht, im alten Irland. Da dieser Hintergrund nicht allen Lesern vertraut sein mag, soll diese historische Anmerkung einige wesentliche Punkte erläutern und damit zu einem besseren Verständnis der Geschichten beitragen.

Zu Fidelmas Zeiten bestand Irland aus fünf Hauptprovinzen, in denen Könige herrschten. Selbst das heutige irische Wort für Provinz lautet cuige, wörtlich: ein Fünftel. Vier dieser Provinzkönige - von Ulaidh (Ulster), von Connacht, von Muman (Munster) und von Laigin (Leinster) - erkannten mit Einschränkungen die Oberhoheit des Ard Ri oder Großkönigs an, der in Tara residierte, in der »königlichen« fünften Provinz von Midhe (Meath), deren Name »mittlere Provinz« bedeutet. Innerhalb dieser Provinzkönigreiche gab es eine Aufteilung der Macht unter Kleinkönigreichen und Stammesgebieten.

In diesem Band finden sich Rückbezüge auf den Streit zwischen Muman und Laigin um das im Grenzgebiet gelegene Unterkönigtum Osraige (Ossory), über das beide die Oberhoheit beanspruchten. Dieser Konflikt wird in dem Fidelma-Roman »Tod im Skriptorium« näher beschrieben.

Die Primogenitur, das Erbrecht des ältesten Sohnes oder der ältesten Tochter, war in Irland unbekannt. Das Königtum vom geringsten Stammesfürsten bis zum Großkönig war nur zum Teil erblich und überwiegend ein Wahlamt. Jeder Herrscher mußte sich seiner Stellung würdig erweisen und wurde von den derbfhine seiner Sippe gewählt, von der mindestens drei Generationen versammelt sein mußten. Wenn ein Herrscher nicht dem Wohl seines Volkes diente, wurde er angeklagt und abgesetzt. Deshalb ähnelte das monarchische System des alten Irlands mehr einer heutigen Republik als den feudalen Monarchien, die sich im Mittelalter in Europa entwickelt hatten.

Im Irland des siebenten Jahrhunderts gab es ein wohldurchdachtes Rechtssystem, das das Gesetz der Fenechus, der Landbebauer, genannt wurde, doch besser bekannt ist als das Gesetz der Brehons, abgeleitet von dem Wort breitheamh für Richter. Nach der Überlieferung wurden diese Gesetze zum erstenmal im Jahre 714 v. Chr. auf Befehl des Großkönigs Ollamh Fodhla zusammengefaßt. Über tausend Jahre später, im Jahre 438 n. Chr. berief der Großkönig Laoghaire eine Kommission von neun Gelehrten, die die Gesetze prüfen, überarbeiten und in die neue lateinische Schrift übertragen sollte. Dieser Kommission gehörte auch Patrick an, der später zum Schutzheiligen Irlands wurde. Nach drei Jahren legte die Kommission den geschriebenen Gesetzestext vor, die erste bekannte Kodifizierung.

Die ältesten vollständig erhaltenen Texte der alten Gesetze Irlands finden sich in einem Manuskript aus dem elften Jahrhundert in der Royal Irish Academy in Dublin. Erst im siebzehnten Jahrhundert gelang es der englischen Kolonialverwaltung in Irland schließlich, die Anwendung der Gesetze der Brehons zu unterdrücken. Selbst der Besitz eines Gesetzbuches wurde bestraft, oft mit dem Tode oder der Deportation.

Das Rechtssystem war nicht statisch. Alle drei Jahre kamen die Rechtsgelehrten und Richter beim Feis Teamhrach (Fest von Tara) zusammen und prüften und verbesserten die Gesetze entsprechend der sich verändernden Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse.

Diese Gesetze wiesen der Frau eine einzigartige Stellung zu. Die irischen Gesetze gaben den Frauen mehr Rechte und größeren Schutz als irgendein anderes westliches Gesetzeswerk jener Zeit oder bis in die jüngste Vergangenheit. Frauen konnten sich gleichberechtigt mit den Männern um jedes Amt bewerben und jeden Beruf ergreifen, und sie taten es auch. Sie konnten politische Führer werden, Krieger in Schlachten befehligen, Ärzte, Friedensrichter, Dichter, Handwerker, Anwälte und Richter werden. Wir ken-nen die Namen vieler Richterinnen aus Fidelmas Zeit: Brig Briugaid, Äine Ingine Iugaire, Dari und viele andere. Dari zum Beispiel war nicht nur Richterin, sondern verfaßte auch einen berühmten Gesetzestext, der im sechsten Jahrhundert aufgezeichnet wurde.

Die Gesetze schützten die Frauen vor sexueller Belästigung, vor Diskriminierung und vor Vergewaltigung. Sie konnten sich auf gleichem Rechtsfuß gesetzlich von ihren Ehemännern scheiden lassen und dabei einen Teil des Vermögens des Mannes als Abfindung verlangen. Sie konnten persönliches Eigentum erben und hatten Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zu Hause lagen oder im Krankenhaus. (Im alten Irland gab es die ersten Krankenhäuser, die in Europa bekannt sind.) Aus heutiger Sicht schufen die Gesetze der Brehons fast ideale Bedingungen für die Frauen.

Diesen Hintergrund und seinen starken Gegensatz zu den Nachbarländern Irlands sollte man sich vor Augen halten, um Fidelmas Rolle in den einzelnen Romanen zu verstehen.

Fidelma wurde im Jahre 636 in Cashel geboren, der Hauptstadt des Königreichs Muman (Munster) im Südwesten Irlands. Sie war die jüngste Tochter des Königs Failbe Fland, der ein Jahr nach ihrer Geburt starb. Sie wuchs unter der Aufsicht eines entfernten Vetters auf, des Abts Laisran von Durrow. Als sie mit vierzehn Jahren das »Alter der Wahl« erreichte, das bei Frauen als das Alter der Reife galt, ging sie wie viele irische Mädchen zum Studium an die weltliche Hochschule des Brehon Morann von Tara. Nach acht Jahren Studium erlangte Fidelma den Grad eines anruth, den zweithöchsten, den die weltlichen oder kirchlichen Hochschulen des alten Irland zu vergeben hatten. Der höchste Grad hieß ollamh, und das ist noch heute das irische Wort für Professor. Fidelma hatte die Rechte studiert, sowohl das Strafrecht Sen-chus Mor als auch das Zivilrecht Leabhar Acaill. Damit wurde sie dalaigh, Anwältin bei Gericht.

Ihre Rolle ähnelte der eines modernen Untersuchungsrichters, der unabhängig von der Polizei die Beweislage prüft und feststellt, ob eine Anklage zu erheben ist. Gelegentlich konnte sie aber auch vor Gericht als Vertreterin der Anklage oder, wie in diesem Fall, der Verteidigung tätig werden. In Fällen von geringerer Bedeutung konnte sie sogar, falls kein Brehon zur Verfügung stand, selbst das Urteil sprechen.

Zu jener Zeit gehörten die meisten Vertreter der geistigen Berufe den neuen christlichen Klöstern an, so wie in den Jahrhunderten davor alle Vertreter der geistigen Berufe Druiden waren. Fidelma trat in die geistliche Gemeinschaft in Kildare ein, die im späten fünften Jahrhundert von der heiligen Brigitta gegründet worden war. Zum Zeitpunkt der Handlung dieser Geschichte hatte Fidelma jedoch Kildare bereits enttäuscht verlassen. Die Gründe dafür sind in der Kurzgeschichte »Hemlock at Vespers« beschrieben worden.

Während das siebente Jahrhundert in Europa zum »finsteren Mittelalter« gezählt wird, gilt es in Irland als ein Zeitalter der »goldenen Aufklärung«. Aus allen Ländern Europas strömten Studierende an die irischen Hochschulen, um sich dort ausbilden zu lassen, unter ihnen auch die Söhne vieler angelsächsischer Könige. An der großen kirchlichen Hochschule in Durrow sind zu dieser Zeit Studenten aus nicht weniger als achtzehn Nationen verzeichnet. Zur selben Zeit brachen männliche und weibliche Missionare aus Irland auf, um das heidnische Europa zum Christentum zu bekehren. Sie gründeten Kirchen, Klöster und Zentren der Gelehrsamkeit bis nach Kiew in der Ukraine im Osten, den Färöer-Inseln im Norden und Tarent in Süditalien im Süden. Irland war der Inbegriff von Bildung und Wissenschaft.

Die keltische Kirche Irlands lag jedoch in einem ständigen Streit über Fragen der Liturgie und der Riten mit der Kirche in Rom. Die römische Kirche hatte sich im vierten Jahrhundert reformiert, die Festlegung des Osterfests und Teile ihrer Liturgie geändert. Die keltische Kirche und die orthodoxe Kirche des Ostens weigerten sich, Rom hierin zu folgen. Die keltische Kirche wurde schließlich zwischen dem neunten und dem elften Jahrhundert von der römischen Kirche aufgesogen, während die orthodoxe Ostkirche bis heute von Rom unabhängig geblieben ist. Zu Fidelmas Zeit wurde die keltische Kirche Irlands von dieser Auseinandersetzung stark beansprucht, weshalb man unmöglich über kirchliche Fragen der Zeit schreiben kann, ohne auf den weltanschaulichen Konflikt zwischen ihnen einzugehen.

Eins hatten die keltische und die römische Kirche im siebenten Jahrhundert gemeinsam: Das Zölibat war nicht allgemein üblich. Es gab zwar in den Kirchen immer Asketen, die die körperliche Liebe zur Verehrung der Gottheit vergeistigten, doch erst auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 wurden Heiraten von Geistlichen verurteilt, aber nicht verboten. Das Zölibat in der römischen Kirche leitete sich hauptsächlich von den Bräuchen der heidnischen Priesterinnen der Vesta und der Priester der Diana her.

Im fünften Jahrhundert hatte Rom den Geistlichen im Range eines Abts oder Bischofs untersagt, mit ihren Ehefrauen zu schlafen, und bald danach die Heirat gänzlich verboten. Den niederen Geistlichen riet Rom von der Heirat ab, verbot sie ihnen aber nicht. Erst der Reformpapst Leo IX. (1049-1054) unternahm ernsthaft den Versuch, den Klerikern der westlichen Länder das allgemeine Zölibat aufzuzwingen. Es dauerte Jahrhunderte, bis die keltische Kirche ihren Widerstand gegen das Zölibat aufgab und sich Rom anschloß, während in der östlichen orthodoxen Kirche die Priester unterhalb des Ranges von Abt und Bischof bis heute das Recht auf Heirat besitzen.

Das Wissen um die freie Einstellung der keltischen Kirche zu geschlechtlichen Beziehungen ist wesentlich für das Verständnis des Hintergrunds der FidelmaGeschichten.

Die Verurteilung der »Sünde des Fleisches« blieb der keltischen Kirche noch lange fremd, nachdem sie in der römischen bereits zum Dogma geworden war. Zu Fidelmas Zeit lebten beide Geschlechter in Abteien und Klöstern zusammen, die als conhospitae oder Doppelhäuser bekannt waren, und erzogen ihre Kinder im Dienste Christi.

Fidelmas eigenes Kloster der heiligen Brigitta in Kildare war solch eine Gemeinschaft beider Geschlechter. Als Brigitta sie in Kildare (Cill-Dara = die Kirche der Eichen) gründete, lud sie einen Bischof namens Conlaed ein, sich mit ihr zusammenzutun. Ihre erste Biographie wurde 650, fünfzig Jahre nach ihrem Tode, von einem Mönch in Kildare mit Namen Cogitosus geschrieben, der keinen Zweifel daran läßt, daß es auch zu seiner Zeit eine gemischte Gemeinschaft war.

Zum Beweis für die gleichberechtigte Stellung der Frauen wäre noch darauf hinzuweisen, daß in der keltischen Kirche jener Zeit Frauen auch Priester werden konnten. Brigitta selbst wurde von Patricks Neffen Mel zur Bischöfin geweiht, und sie war nicht die einzige. Rom protestierte im sechsten Jahrhundert schriftlich gegen die keltische Praxis, Frauen die heilige Messe zelebrieren zu lassen.

Im Gegensatz zur römischen Kirche gab es in der irischen Kirche nicht die Einrichtung der »Beichtväter«, bei der »Sünden« den Geistlichen gebeichtet wurden, die dann die Vollmacht hatten, diese Sünden in Christi Namen zu vergeben. Statt dessen wählte man einen »Seelenfreund« (anam chara) unter Klerikern oder Laien, mit dem man Fragen seines emotionalen oder geistigen Heils besprach.

Damit sich der Leser mit den Namen besser zurechtfindet, habe ich eine Liste der Hauptpersonen beigefügt.

Im allgemeinen habe ich es aus naheliegenden Gründen abgelehnt, anachronistische Ortsnamen zu verwenden, habe jedoch einige wenige moderne Bezeichnungen übernommen wie Tara statt Teamhair, Cashel an Stelle von Caiseal Muman und Armagh für Ard Macha. Hingegen bin ich bei dem Namen Mu-man geblieben und habe nicht die Form »Munster« vorweggenommen, bei der im neunten Jahrhundert das nordische »stadr« (Ort) an den irischen Namen Muman angehängt und die dann anglisiert wurde. Ähnlich habe ich das ursprüngliche Laigin beibehalten statt der anglisierten Form Leinster, die aus dem nordischen Laigin-stadr hervorging. Der leichteren Lesbarkeit halber habe ich Fearna Mhor (der große Ort der Erlen), die Hauptstadt der Könige von Laigin zu jener Zeit, zu Fearna verkürzt, da es jetzt zu Ferns in der Grafschaft Wexford anglisiert worden ist.

Dieser Roman behandelt auch den Konflikt zwischen dem heimischen Gesetz der Brehons und dem anderen Rechtssystem, das die Geistlichen, die für die römischen Reformen waren, um diese Zeit in Irland einführen wollten; es wurde das System der Bußgesetze genannt. Diese Bußgesetze waren ursprünglich Regeln für die religiösen Gemeinschaften und leiteten sich hauptsächlich von den griechisch-römischen christlichen Kulturbegriffen her. Nach ihnen sollte man sein Leben ausrichten. Man versuchte sie jedoch auch auf die Gemeinden auszudehnen, die im Schatten der großen Abteien entstanden waren; das hing von den Persönlichkeiten der Äbte und Äbtissinnen ab.

Die Bußgesetze entwickelten sich oft zu einem strengen System von Regeln und Strafen, die auch Körperstrafen für Vergehen vorsahen. Sie stellten eher ein System der Rache dar als ein System von Schadenersatz und Rehabilitation, wie es die Grundlage der Gesetze der Brehons bildete. Als in vielen Gegenden Irlands die römische Form des Christentums in den religiösen und städtischen Zentren Fuß faßte, verdrängten die Bußgesetze zunehmend die Vorschriften der Brehons. Im späteren Mittelalter waren Hinrichtungen, Verstümmelungen und Auspeitschungen als Mittel der Bestrafung in Irland ebenso verbreitet wie im übrigen Europa. Doch zu Fidelmas Zeit war es noch nicht so, und solche Vorstellungen empörten die Anhänger des Systems der Brehons, wie der Leser nun feststellen wird.


Hauptpersonen

Schwester Fidelma von Cashel, eine dalaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des siebenten Jahrhunderts

Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham, ein angelsächsischer Mönch aus dem Lande des Südvolks

Dego, ein Krieger von Cashel

Enda, ein Krieger von Cashel

Aidan, ein Krieger von Cashel

Morca, ein Gastwirt in Laigin

Äbtissin Fainder, Äbtissin von Fearna

Abt Noe, anam chara (»Seelenfreund«) des Königs Fianamail

Bruder Cett, ein Mönch von Fearna

Bruder Ibar, ein Mönch von Fearna

Bischof Forbassach, Brehon von Laigin

Mel, Hauptmann der Wache in Fearna

Fianamail, König von Laigin

Lassar, Besitzerin des Gasthauses zum Gelben Berg, die Schwester Mels

Schwester Etromma, rechtaire oder Verwalterin der Abtei Fearna

Gormgilla, ein Opfer

Fial, ihre Freundin

Bruder Miach, Arzt der Abtei Fearna

Gabran, Kapitän eines Flußschiffes und Händler