Vorwort
MYTHEN DER BEEINFLUSSUNG
Pfusch an der Couch
«Psychotherapie hat die Macht, Menschen
von seelischen Störungen und Neurosen zu heilen« 21
Karma im Zellkern
«Die Persönlichkeit des Menschen wird durch
seine Erziehung bestimmt« 69
Die lausigen Verführer
«Die Massenmedien üben gewaltige
Wirkungen auf das Bewusstsein und
das Verhalten der Menschen aus« 109
Der unverbesserliche Verstand
«Es gibt Möglichkeiten, die Intelligenz und
das Auffassungsvermögen des Menschen
erheblich zu erweitern« 133
MYTHEN DER SEELE
Auslaufmodellvorstellungen
«Der Mensch benutzt Abwehrmechanismen
wie Verdrängung oder Projektion,
um unangenehme Bewusstseinsinhalte
ins Unbewusste abzuschieben« 157
Schminke am Selbstbild
«Es ist für die seelische Gesundheit
erforderlich, ein aufrichtiges und
unverhülltes Bild von sich selbst zu haben« 189
Selbstwertgefühlsduselei
«Es ist immer vorteilhaft,
ein hohes Selbstwertgefühl zu besitzen« 215
Die Seele ist schuld
«Viele organische Krankheiten
haben psychosomatische Ursachen« 229
Seelengedrängel
«Manche Menschen werden von
multiplen Persönlichkeiten übermannt« 249
MYTHEN DES VERÄNDERTEN BEWUSSTSEINS
Schein-Heil im Lotussitz
«Meditation erzeugt einen einzigartigen
körperlich-geistigen Entspannungszustand« 263
Kellerspektakel
«Unter Hypnose können Menschen
außerordentliche Dinge tun« 277
Einmal Jenseits und zurück
«Viele Menschen machen in Todesnähe
läuternde Erfahrungen mit der Transzendenz«291
MYTHEN DES GEHIRNS
Armleuchten
«Der Mensch nimmt nur 10 Prozent
seiner Gehirnkapazität in Anspruch« 309
Seiten verkehrt
«Die beiden Hemisphären des Gehirns beherbergen völlig unterschiedliche Leistungen«319
Register
Die Psychologie ist die wichtigste und zugleich die unwichtigste aller Wissenschaften. Wenn
Ihnen diese Aussage verdächtig nach» gespaltener Persönlichkeit «vorkommt, können Sie das getrost
als Bestätigung für den notorisch angeknacksten Verstand der Psychologen nehmen. Allerdings sind
Sie damit bereits einem Psycho-Irrtum aufgesessen, denn das in der Öffentlichkeit gemeinhin als
«gespaltene Persönlichkeit «bekannte Phänomen ist in Wirklichkeit ein völlig gegenstandsloses
Hirngespinst, das lediglich der dramatischen Vorstellungskraft von Schriftstellern und
Drehbuchautoren entsprungen ist und in einem eigenen Kapitel dieses Buches auseinander
genommen wird.
Die Psychologie ist die wichtigste aller Wissenschaften, weil jeder Einzelne von uns im
alltäglichen Leben nachvollziehen kann, dass psychologische Fragestellungen (zum Beispiel:»Wer
bin ich, warum bin ich so geworden, und wie kommt es, dass ich nicht Tom Cruise sein kann?«) eine
ungeheure Priorität besitzen, die sogar das Rätsel um schwarze Löcher und die globale Erwärmung in
den Schatten stellt. Der amerikanische Arzt Sherwin Nuland hat diese unanfechtbare Tatsache
einfühlsam auf den Punkt gebracht:»Mir ist der Mikrokosmos wichtiger als der Makrokosmos, mich
interessiert das Leben eines Menschen mehr als das Verlöschen eines Sterns oder das Vorüberziehen
eines Kometen.«[1]Psychologische Erkenntnisse sind unschätzbar wichtig, weil unzählige Menschen an einem
peinigenden» Knacks «in ihrer Seele leiden, und weil viele Menschheitsprobleme die Folge von
einem» Knacks «in der Seele gewisser Menschen sind. Krieg, Armut, Verbrechen, Rassismus und
totalitärer Staat, ja praktisch alle gesellschaftlichen Übel gehen letztlich auf Deformationen im
verschlungenen Räderwerk der Psyche zurück. Auch in einem politischen Sinne besitzt die
Erforschung der menschlichen Psyche von allen wissenschaftlichen Unternehmungen die größte
Tragweite, stellt der amerikanische Wissenschaftspublizist John Horgan fest:»Selbst
pseudowissenschaftliche Erklärungen der menschlichen Natur haben die Macht, den Lauf der
Geschichte zu verändern. Die Bewegungen, die von Karl Marx und Sigmund Freud ins Leben
gerufen wurden — oder auch von Jesus, Buddha und Mohammed, deren Theologien ebenfalls
implizite Theorien über die menschliche Natur enthalten —, haben dies gezeigt.«[2]
Geistige Störungen wie Depression, Angstkrankheiten, Schizophrenie und Sucht verursachen jedes
Jahr unsägliches Leid und dazu einen volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe. Nach den
Ergebnissen der modernen Evolutionsforschung ist der Wunsch nach Psychologie und Selbsterkenntnis
sogar ganz tief in den Intellekt des Homo sapiens eingebaut. Lange Zeit glaubten die Anthropologen, dass
die Hirnkapazität bei unserer Spezies so explosiv zugenommen hat, um den mentalen Anforderungen bei
der Jagd oder bei der Herstellung von komplexen Werkzeugen gerecht zu werden. Heute besteht jedoch
weitgehend Einigkeit, dass die Entwicklung unseres» Eierkopfes «auf der Notwendigkeit beruhte, die
Absichten und Motive unserer Artgenossen zu verstehen (und zu manipulieren), mit denen wir in
komplexen Sozialverbänden zusammenleben — also auf dem Bedürfnis nach Psychologie.
Die Psychologie ist die unwichtigste aller Wissenschaften, weil sie all diesen brennenden Problemen
und Rätseln mit einer wahrhaft atemberaubenden Ahnungslosigkeit gegenübersteht. Ihre Unfähigkeit, die
großen Fragen nach der menschlichen Natur zu beantworten, hat sich bei der Bevölkerung noch gar nicht
herumgesprochen, wie auch die Psychologin Andrea Abele-Brehm von der Universität Erlangen-
Nürnberg in einem Essay über das Verhältnis von Psychologie und Öffentlichkeit konzediert.[3]»Wenn die
Leute eines Tages erführen, was die Psychologie wirklich macht, dann würde sich kein Mensch mehr
dafür interessieren. «Auch die Psychotherapie, das wichtigste und mit den größten Hoffnungen und
Sehnsüchten besetzte Anwendungsgebiet der Seelenforschung, krankt im Licht der Fakten an einer
deprimierenden Impotenz.»Wer die Psychotherapie liebt, hat oft Anlass, sich der Psychotherapie zu
schämen«, räumt der Berner Psychotherapieforscher Klaus Grawe viel sagend ein.[4]
Die naturwissenschaftliche Erforschung der unbelebten Welt hat in den vergangenen 100 Jahren
unvorstellbare Fortschritte gemacht. Physiker sind in gigantischen Beschleunigungsanlagen den tiefsten
Bindekräften des subatomaren Kosmos auf der Spur, während die Astronomen mit hochtechnologischen
Himmelsaugen nach den entferntesten Objekten des Universums spähen. Die Biologen des Human-
Genome-Projektes haben schon beinah das gesamte Erbgut unserer Spezies abgeklappert. Die Technik
kann mit Lasern, Mikrochips, Radar und Düsenflugzeugen prahlen, Medizin und Biologie stellen ihre
überragende Leistungskraft mit Impfungen, Antibiotika, Klonierung, Organtransplantation und anderen
Wundern unter Beweis. Eine der größten Sorgen besteht heute darin, dass sich der naturwissenschaftlich-
technische Fortschritt in einem derartigen Tempo vollzieht, dass große Teile der Bevölkerung nicht mehr
Schritt halten können.
Von diesem» Geschwindigkeitsproblem «bleibt die Psychologie verschont. Psychotherapeuten doktern
immer noch ratlos mit dem verstaubten Instrumentarium der frühen industriellen Revolution an den
Neurosen des Informationszeitalters herum.»Es gibt seit hundert Jahren Psychotherapie, und trotzdem
geht's mit der Welt bergab«, konstatieren der Psychoanalytiker James Hillman und der Journalist Michael
Ventura zynisch in ihrem Buch.[5] Mit einer Gräueltat und einem Völkermord nach dem anderen rückt die
Zeitgeschichte die Ohnmacht des Menschen gegenüber der dunklen Seite seiner Seele ins Rampenlicht.
Die Psychowissenschaften erzeugen zwar mit hochtrabenden Begriffen wie» kognitive
Verhaltenstherapie «oder» systematische Desensibilisierung «die Illusion von Tiefgründigkeit und
Kennerschaft. Tatsache ist jedoch, dass selbst der Ursprung einer schlichten Schlangenphobie weiterhin
ein ungelöstes Rätsel bleibt. Wenn Ihnen ein Psychotherapeut irgendetwas anderes sagt, hat er im
günstigsten Falle die Fachliteratur nicht studiert. Es gibt nachweislich keine einzige funktionierende
«Beeinflussungstechnik«, mit der man systematisch auch nur einen Raucher in einen Nichtraucher
verwandeln könnte. Gerechterweise bleibt auch die Werbung mit ihren viel gerühmten psychologischen
Suggestivmethoden beim» Umprogrammieren «von Nichtrauchern in Raucher genauso ergebnislos. Die
Psychologie zeichnet sich durch eine peinlich lange Folge von» Theorien «aus, die sich im Nachhinein
viel zu oft als flüchtige Modeerscheinungen entpuppten und mangels Erklärungskraft in Vergessenheit
gerieten.
Hauptinspiration zu diesem Buch war jedoch die über Jahre der wissenschaftsjournalistischen
Tätigkeit gewachsene, schmerzhafte Erkenntnis, dass unter dem Deckmäntelchen des Begriffes
«Psychologie «im großen Stil Beihilfe zum Selbstbetrug geleistet wird. Anstatt den heroischen Kampf
gegen das Nichtwissen zu unterstützen, schütten Therapeuten, Psychologen und andere» Seelenexperten«
immer wieder ganze Füllhörner von Mythen und Psychoirrtümern über die Menschen aus. In den
Naturwissenschaften werden Mythen, Irrtümer und falsche Theorien früher oder später durch empirische
Erkennmisse ausgemerzt. Spätestens als die Weltraumsonden die ersten plastischen Bilder von der
Erdkugel übermittelten, war der Glaube an die Scheibenförmigkeit unseres Planeten in den Köpfen der
letzten (nicht verrückten) Gläubigen gelöscht. Die Einsicht, dass auch die vermeintliche» Krone der
Schöpfung «von tierartigen Vorfahren abstammt, hat sich mit dem Siegeszug der Evolutionslehre
erfolgreich gegen alle konkurrierenden Erklärungsmodelle durchgesetzt.
Psychologische Mythen sind dagegen auch durch besseres Wissen nicht totzukriegen.»Theorien der
menschlichen Natur sterben niemals völlig aus; sie kommen nur aus der Mode«, macht mein
amerikanischer Kollege John Horgan seiner Enttäuschung Luft.»Oftmals werden alte Ideen einfach in
schmackhafterer Form neu verpackt. «Es ist eine beklagenswerte, aber auch anspornende Tatsache, dass
die Psychologie (noch) viel zu wenig über den Menschen weiß, um die Probleme lösen zu können, die
der Mensch leidenschaftlich gerne gelöst hätte. Das psychologische Wissen —»die Wahrheit über uns
selbst«— kann der Unwissenheit nur in mühevoller Kleinarbeit abgetrotzt werden. Aber die akademische
Psychologie hat bei geschätzten 17.000 empirischen Studien pro Jahr das Rätsel Seele noch nicht einmal
an der Oberfläche richtig angekratzt. Immerhin hat die universitäre Seelenforschung trotz ihrer
bedauernswert fragmentarischen Ergebnisse einigen der bedeutendsten Mythen dieser Epoche die
Grundlagen entzogen.
Doch wenn man einem Mythos den Kopf abhackt, wachsen an anderer Stelle zwei nach. In
jahrelanger, mühsamer Kleinarbeit hat die akademische Seelenforschung gerade erst die wichtigsten
Grundannahmen der Psychoanalyse von Sigmund Freud widerlegt, da schießen plötzlich Methoden wie
das» Eye Movement Desensitization and Reprocessing«(EMDR) oder das» Neurolinguistische
Programmieren «aus dem Boden, deren Verankerung in der Realität sich bestenfalls mit der
Wünschelrute aufspüren lässt.
Aber selbst die freudsche Psychoanalyse — die» Urmutter aller Psychotherapien«— übersteht das
Absägen ihrer Pfeiler bislang unbeschadet. Der Wiener Seelenpionier ist genauso untot wie Graf Dracula.
Sigmund Freud, resümiert der britische Literaturhistoriker Richard Webster,»war Schöpfer einer
komplexen Pseudowissenschaft, die als eine der größten Torheiten der westlichen Zivilisation erkannt
werden sollte.«[6] Schon vor zwei Jahrzehnten hatte der britische Nobelpreisträger Peter Medawar die
Psychoanalyse zur» horrendesten Bauernfängerei «des Jahrhunderts erklärt und ihr baldiges
Verschwinden vorausgesagt — ein Irrtum, wie sich herausgestellt hat. Während der Marxismus spätestens
mit dem Mauerfall und dem Niedergang der Sowjetunion augenfällig im Schrotthaufen der
Geistesgeschichte versank, geht die Tiefenpsychologie scheinbar gestärkt aus ihrer Demontage durch die
Empiriker hervor.
Obgleich Freuds Grundannahmen wie der Glaube an die Verdrängung, an das Unbewusste und an die
Bedeutung der frühen Kindheit einer kritischen Prüfung nicht standhalten, machen immer noch Millionen
Menschen einen klassischen» Couchtrip «durch. Besonders bei geisteswissenschaftlich orientierten
Intellektuellen und im Feuilleton gilt die Psychoanalyse immer noch als eine Insignie der höheren
Denkungsart, und die Krankenkassen blättern für eine Behandlung beim Analytiker bis zum Abwinken
Mittel der Solidargemeinschaft hin. Freuds Anhänger huldigen ihm als Genie, dessen Einsichten, wenn
auch empirisch nicht belegbar, intuitiv unmittelbar plausibel sind. Bei dieser defensiven Haltung spielt
wahrscheinlich auch eine strukturelle Eigenart der psychologischen Forschung mit, auf welche die
Psychologin Abele-Brehm hinweist:»Psychologie ist erlebnisnah, und jeder Mensch hat einen
>psychologischen Hausverstand<, der mit den Forschungsbefunden konkurriert.«
Der Hauptgrund für das Beharrungsvermögen der Analyse und der anderen Psycho-Irrtümer besteht
jedoch darin, dass sie tief sitzende Bedürfnisse der Gläubigen befriedigen. Für den, der die Hand voll
Interpretationsregeln begriffen hat, ist die Psychoanalyse ein» Stein der Weisen«, eine genialische
Offenbarung, die bereits dem Halbgebildeten einen visionären Einblick in die geheime Mechanik des
Lebens gewährt. Das ist eben die ewige Verlockung der Scholastik: Für jede Frage gibt es eine fundierte
Antwort, die schon seit Jahrzehnten in den» heiligen Schriften «zu eruieren ist. Den Zauberstab der
Deutung, der tiefe und verborgene Geheimnisse enthüllt, kann sich auch der interessierte Laie im
Schnellverfahren zu Eigen machen. Wer erst einmal den hermeneutischen Bogen heraushat, wähnt sich
im Besitz des» Röntgenblickes«, mit dem er alle Fassaden durchdringt und dem Unbewussten auf seine
Schliche kommt. Aus diesen Gründen werden» Psychologen«— faktisch fast immer Analytiker — so gerne
als» Experten «in Talkshows eingeladen. Mit ihren rhetorischen Taschenspielertricks befriedigen sie den
Profilierungsdrang des Neunmalklugen, der sich mit ein paar eingeübten Kniffen über die
Ahnungslosigkeit der» Uneingeweihten «erhebt, und der mit ein paar flott zurechtgelegten Deutungen alle
Welträtsel nach dem Instant-Prinzip» knackt«.
Die Psychoanalyse ist aber auch — wie alle großen» Offenbarungen «der Menschheit — ein
Gedankengebäude, das die ultimative Erklärung für Kummer, Leid und Verzweiflung bereithält.
Menschen, die gerade Kummer und Leid empfinden, können aber schon aus dem Glauben an die
Erklärbarkeit dieses Zustandes einen gewissen Trost beziehen — erklärtes Leid ist halbes Leid. Besonders
dann, wenn die» Erklärung «die Schuld an dem Leid nach außen, auf andere Personen oder persönlich
nicht zu verantwortende Umstände abwälzt.
Aber in dem mythischen Urbild des verletzten und (von Gott?) verlassenen Kindes scheint auch ein
ergreifendes Gleichnis durch, eine nihilistische Weisheit, die die Jünger des Wiener Seelenmythologen
heute beschämt unter den Teppich kehren, weil sie dem modischen Habitus der emanzipatorischen
Freiheitsbewegung widerspricht, mit dem man sich in der Psychoszene so gerne schmückt. Wie die US-