INHALT

Der sprechende Stein

(THE TALKING STONE)

Tod einer Blondine

(WHAT'S IN A NAME)

Projekt Gans (PATE DE FOIE GRAS)

In der Atmosphärenkammer (THE DUST OF DEATH)

Ohne Hilda in Marsport (I'M IN MARSPORT WITHOUT HILDA)

Gefangene des Alls (MAROONED OFF VESTA)

Das Souvenir (ANNIVERSARY)

Nachruf für Lancelot (OBITUARY)

Die Nova122 (STAR LIGHT)

Energie aus dem Nichts (THE BILLIARD BALL)

1. Der sprechende Stein

Der Asteroidengürtel ist groß, aber seine menschliche Bevölkerung ist klein. Nach sieben Monaten der einjährigen Verpflichtungszeit auf Station V fragte Larry Vernadsky sich immer häufiger, ob ihn sein Gehalt überhaupt für die Einzelhaft - hundertzehn Millionen Kilometer von der Erde entfernt -entschädigen konnte. Er war ein schlanker junger Mann, den niemand für einen Raumfahrtingenieur gehalten hätte; hinter seinen blauen Augen, dem strohblonden Haar und dem unschuldigen Gesichtsausdruck verbarg sich jedoch ein scharfer Verstand mit unersättlichem Wissensdurst. Der unschuldige Gesichtsausdruck und sein Wissensdurst kamen ihm an Bord der Robert Q. gut zustatten.

Als die Robert Q. die Landeplattform der Station V erreichte, ging Vernadsky fast augenblicklich an Bord. Er merkte nicht einmal, daß der Captain sein begeistertes Grinsen nur mit saurer Miene quittierte. Für Vernadsky war jedes Schiff eine willkommene Abwechslung; er hatte sämtliche Werkzeuge zur Verfügung und konnte jedes Ersatzteil in jedes Hypertriebwerk einbauen.

Vernadsky grinste übers ganze Gesicht, während er das übliche Formular ausfüllte, das er später dem Stationscomputer eingeben würde. Er schrieb den Namen des Schiffes nieder, füllte die Spalten Zulassungsnummer, Triebwerksnummer, Feldgeneratornummer und so weiter aus, notierte den Standort (irgendein verdammter Asteroid, dessen Namen ich vergessen habe, und Vernadsky schrieb >Gürtel< als Abkürzung für >Asteroidengürtel<), den Bestimmungsort (>Erde<) und den Grund für die Zwischenlandung (>zeitweises Aussetzen des Triebwerks<). »Wie groß ist Ihre Besatzung, Captain?« fragte Vernadsky mit einem Blick auf die Schiffspapiere.

»Zwei Mann«, antwortete der Captain. »Fangen Sie gleich mit der Reparatur an? Wir haben es nämlich verdammt eilig.« Sein Auftreten verriet den Raumfahrer, der den größten Teil seines Lebens hier draußen zwischen den Asteroiden verbracht hatte.

»Klar, wird gemacht.« Vernadsky schleppte seinen Tester in den Maschinenraum. Der Captain begleitete ihn. Während Vernadsky das Hypertriebwerk testete, dachte er über den Captain nach, der trotz seiner Bartstoppeln und seiner rauhen Ausdrucksweise durchaus kultiviert wirkte. Er war sich darüber im klaren, daß manche Männer an diesem einsamen Leben Geschmack fanden - aber ob dieser Captain zu ihnen gehörte? »Welche Erze transportieren Sie?« erkundigte Vernadsky sich beiläufig. Der Captain runzelte die Stirn. »Chrom und Magnesium«, antwortete er dann.

»Tatsächlich?... An Ihrer Stelle würde ich den Jenner-Verteiler auswechseln lassen.«

»Setzt das Triebwerk deshalb aus?«

»Nein, aber der Verteiler arbeitet höchstens noch zehn Millionen Kilometer, und solange Sie einmal hier sind...«

»Okay, bauen Sie einen neuen Verteiler ein. Hoffentlich haben Sie den Fehler bald!«

»Ich gebe mir Mühe, Captain.«

Die letzte Bemerkung des Captain brachte sogar Vernadsky zum Schweigen. Er arbeitete zehn Minuten weiter und richtete sich dann auf. »Der Semireflektor ist beschlagen«, stellte er fest. »Sobald der Positionenstrahl einen bestimmten Punkt auf dem Reflektor erreicht, setzt das Triebwerk kurz aus. Wir müssen den Reflektor austauschen.« »Wie lange dauert das?« »Ungefähr zehn bis zwölf Stunden.« »Was? Wir haben uns schon verspätet und...«

»Nichts zu machen.« Vernadsky zuckte mit den Schultern. »Ich muß das Triebwerk mit Helium ausspülen, bevor ich hineinkann; das dauert ungefähr drei Stunden. Und dann muß ich den neuen Semireflektor einbauen und abgleichen, was wieder einige Stunden dauert. Ich könnte Ihr Triebwerk in einer Viertelstunde notdürftig reparieren, aber damit kämen Sie nicht einmal bis zum Mars.«

»Okay«, knurrte der Captain. »Los, fangen Sie an!«

Vernadsky schob seinen Heliumzylinder vor sich her an Bord. Der Zylinder wog buchstäblich nichts, weil der Schwerkraftgenerator der Robert Q. außer Betrieb war, aber seine Masse und Bewegungsenergie waren unverändert. Vernadsky hatte deshalb alle Hände voll zu tun und konzentrierte sich so auf diese Aufgabe, daß er eine falsche Tür öffnete und den abgedunkelten Raum betrat.

Er hatte nur Zeit für einen überraschten Ausruf, dann schoben ihn zwei Männer in den Korridor hinaus.

Vernadsky schwieg, während er den Zylinder an das Einlaßventil des Triebwerks anschloß und zuhörte, wie das Helium die radioaktiven Gase hinausspülte.

Dann konnte er seine Neugier nicht länger beherrschen und sagte: »Sie haben ein Silicony an Bord, Captain. Ein sehr großes.« »Tatsächlich?« fragte der Captain nur. Sein Gesichtsaudruck verriet nicht, was er dachte.

»Ich habe es gesehen. Darf ich es mir noch mal länger ansehen?« »Warum?«

Vernadsky sah ihn bittend an. »Hören Sie, Captain, ich sitze seit mehr als einem halben Jahr auf diesem Felsen hier. Ich habe alles über die Asteroiden gelesen, was ich erwischen konnte auch über Siliconies. Aber ich habe noch keines zu Gesicht bekommen. Seien Sie doch nicht so hartherzig!« »Tun Sie lieber Ihre Arbeit.«

»In den nächsten Stunden ist nichts zu tun«, beteuerte Vernadsky. »Warum haben Sie das Silicony überhaupt an Bord, Captain?« »Andere Leute mögen Hunde. Ich mag Siliconies.« »Kann es sprechen?«

Der Captain lief rot an. »Wie kommen Sie darauf?«

»Manche können sprechen. Manche lesen sogar Gedanken.«

»Sind Sie etwa Spezialist für diese verdammten Dinger?«

»Ich habe nur viel über sie gelesen. Kommen Sie, Captain, Sie wollten mir das Silicony zeigen.«

Vernadsky übersah geflissentlich, daß die beiden Männer jetzt wieder neben ihm standen. Er war von drei stämmigen Kerlen eingekreist, die vermutlich bewaffnet waren.

»Was ist denn?« fragte Vernadsky erstaunt. »Ich will das Ding nicht stehlen. Ich will es nur sehen.«

Vielleicht rettete ihm die erst begonnene Reparatur in diesem Augenblick das Leben. Vermutlich war es jedoch sein harmloser Gesichtsausdruck, der die anderen davon überzeugte, daß dieser junge Mann nichts Böses im Sinn hatte.

»Gut, meinetwegen«, sagte der Captain. »Kommen Sie mit.«

Und Vernadsky folgte dieser Aufforderung mit Vergnügen und klopfendem Herzen.

Vernadsky starrte das graue Tier ehrfürchtig und nur leicht angewidert an. Er hatte tatsächlich noch nie ein Silicony gesehen, aber er kannte die Tiere aus dreidimensionalen Abbildungen und Beschreibungen. Trotzdem verblüffte ihn die Wirklichkeit einigermaßen.

Die Haut des Tieres war ölig glatt und grau. Es bewegte sich langsam, wie es einem Tier zusteht, das im Fels lebt. Unter der Haut spielten keine Muskeln; statt dessen schoben sich graue Steinplatten wie Schuppen übereinander. Aus dem eiförmigen, oben abgeflachten Körper ragten sechs Beine hervor, deren scharfe Steinkanten Felsen durchbohrten und in eßbare Stücke zerkleinerten.

An der Unterseite des Tieres befand sich eine Öffnung, durch die Felsbrocken ins Körperinnere gelangten. Dort reagierten Kalkstein und hydrierte Silikate aufeinander und bildeten die Silikone, aus denen das Körpergewebe des Tieres bestand. Dabei entstehende Abfallprodukte wurden als weiße Kiesel ausgeschieden, die zunächst alle Extraterrologen verblüfft hatten, bis die Siliconies entdeckt worden waren. Die Wissenschaftler konnten sich allerdings noch nicht erklären, wie dieses Lebewesen es fertigbrachte, Silikonen die Aufgaben zu übertragen, die Proteine bei anderen Tieren zu erfüllen hatten.

Das Silicony trug zwei weitere keulenförmige Ansätze auf dem Rücken, die es jedoch einzog, wenn es sich durch Felsen bohrte. Nach Meinung ernsthafter Extraterrologen, die das Tier Siliconeus asteroidea nannten, dienten diese >Ohren< als Antennen für die rudimentären telepathischen Kräfte, die manche Siliconies besaßen.

Das Silicony kroch langsam über einen ölverschmierten Felsen. In einer Ecke der Kabine lagen weitere Steinbrocken, von denen das Tier lebte. Vernadsky hatte allerdings gelesen, daß es seinen Energiebedarf zusätzlich aus anderen Quellen decken mußte.

»Ein wahres Ungeheuer!« meinte Vernadsky anerkennend. »Fast dreißig Zentimeter Durchmesser!«

Der Captain nickte wortlos.

»Wo haben Sie es her?« fragte Vernadsky.

»Von einem Asteroiden.«

»Die größten Siliconies waren bisher kaum fünf Zentimeter groß. Auf der Erde könnten Sie dieses Tier vielleicht für teures Geld verkaufen.« Der Captain zuckte mit den Schultern. »Schön, Sie haben es gesehen. Los, an die Arbeit!« Er wollte Vernadsky hinausführen, als plötzlich eine seltsam rauhe Stimme hinter ihnen ertönte. Sie wurde durch Reibung zwischen Steinplatten erzeugt, und Vernadsky starrte den Sprecher geradezu entgeistert an.

»Der Mann fragt sich, ob dieses Ding sprechen kann«, sagte das Silicony, das plötzlich zu einem sprechenden Stein geworden war. »He!« rief Vernadsky erstaunt aus.

»Schön, jetzt haben Sie es gesehen und gehört«, meinte der Captain ungeduldig. »Kommen Sie!«

»Und es kann Gedanken lesen«, stellte Vernadsky fest. »Mars rotiert in zwei-vier Stunden drei-siebeneinhalb Minuten. Jupiter hat eine Dichte von eins-komma-zwei-zwei. Uranus wurde im Jahr eins-siebenacht-eins entdeckt. Pluto ist der weiteste Planet. Die Masse der Sonne beträgt zwei-null-null-nullnull-null-null... «

Der Captain zog Vernadsky hinaus, der fasziniert zuhörte, während er über die Schwelle stolperte.

»Woher weiß es das alles, Captain?« wollte Vernadsky wissen.

»Aus einem alten Astronomielehrbuch, das wir ihm vorlesen.«

»Eine alte Schwarte«, fügte einer der Besatzungsmitglieder hinzu. »Aus der

Zeit vor der Erfindung der Raumfahrt. Sogar noch echt gedruckt.« »Halt's Maul«, sagte der Captain.

Vernadsky kontrollierte das ausströmende Helium und konnte schließlich mit der Arbeit beginnen. Er unterbrach sie nur, um eine Tasse Kaffee zu trinken und eine kurze Pause einzulegen.

»Wissen Sie, was ich glaube, Captain?« sagte er mit seinem unschuldigsten Lächeln. »Das Tier hat vielleicht Hunderte von Jahren in einem Asteroiden gelebt; es ist verdammt groß und wahrscheinlich intelligenter als kleinere Siliconies. Dann sind Sie gekommen und haben ihm gezeigt, daß das Universum nicht nur aus Felsen besteht. Deshalb interessiert es sich für Astronomie, glauben Sie nicht auch?«

Er wollte den Captain dazu bringen, sich irgendwie zu diesem Thema zu äußern. Aber der andere verzog keine Miene und fragte nur: »Wann sind Sie fertig?«

Das war sein letzter Kommentar, und Vernadsky mußte damit zufrieden sein. Sobald das Triebwerk wieder funktionierte, bezahlte der Captain die Rechnung in bar, steckte seine Quittung ein und startete mit heulenden Düsen.

Vernadsky sah ihm aufgeregt nach und ging rasch an seinen Sender. »Ich muß recht haben«, murmelte er vor sich hin. »Ich muß recht haben.« Sergeant Milt Hawkins nahm den Anruf in der vertrauten Umgebung des Polizeireviers auf Asteroid 72 entgegen. Dort saß er mit einem Zweitagebart, einer Dose Bier, einem Filmprojektor und seinen Gedanken, aus denen er aufschrak, als der Summer ertönte. Hawkins sah endlich wieder ein menschliches Gesicht auf dem Bildschirm und freute sich darüber. Gesellschaft war Gesellschaft, selbst wenn nur Vernadsky anrief. Er begrüßte ihn freudig und achtete vor lauter Begeisterung zunächst kaum darauf, was Vernadsky zu erzählen hatte.

Dann war er plötzlich ganz Ohr. »Halt, langsam!« unterbrach er Vernadsky. »Was hast du eben gesagt?«

»Hast du nicht zugehört, du dämlicher Polizist? Ich rede mir hier die Kehle heiser, aber du...«

»Immer mit der Ruhe! Was hast du von einem Silicony erzählt?« »Dieser Kerl hat eines an Bord. Er füttert es mit Steinen.« »Und?«

»Es ist nicht nur ein Silicony!« beteuerte Vernadsky. »Es ist nicht fünf Zentimeter, sondern dreißig Zentimeter groß. Weißt du, was das bedeutet? Du liebe Güte, der Kerl lebt hier draußen, ohne etwas über Asteroiden zu wissen!«

»Schön, dann erzählst du mir eben, was ich angeblich nicht weiß.«

»Hör zu, aus Felsen entsteht Körpergewebe, aber woher bekommt ein Silicony dieser Größe seine Energie?« »Keine Ahnung.« »Direkt aus... Bist du allein?« »Ja, leider.«

»Das wird dir bald nicht mehr leid tun. Siliconies nehmen Energie durch direkte Absorption von Gammastrahlen auf.« »Wer sagt das?«

»Ein gewisser Wendell Urth, ein bekannter Extraterrologe. Er weiß angeblich auch, wofür die >Ohren< der Siliconies gut sind. Sie haben nichts mit Telepathie zu tun, sondern dienen als hochempfindliche Strahlendetektoren.«

»Okay. Und?« fragte Hawkins, der nachdenklich geworden war. »Paß auf! Urth behauptet, auf Asteroiden gebe es nicht genügend Gammastrahlen, um Siliconies mit mehr als fünf Zentimeter am Leben zu erhalten. Das andere Tier war dreißig Zentimeter groß, verstehst du?« »Hmmm... «

»Folglich stammt es von einem Asteroiden, der völlig aus radioaktivem Material bestehen muß - und der irgendwo außerhalb der normalen Routen liegt, wo niemand einen Asteroiden vermutet. Nur der Captain der Robert Q. hat offenbar gleich die richtigen Schlüsse aus seiner Entdeckung gezogen. Er ist ein gerissener Bursche.« »Weiter.«

»Nehmen wir einmal an, er hätte eine Versuchssprengung durchgeführt und wäre dabei auf dieses riesige Silicony gestoßen. Dann weiß er, daß er einen unwahrscheinlichen Fund gemacht hat. Das Silicony kann ihn zu den größten Uranlagern führen.« »Warum sollte es das tun?«

»Weil es lernen will! Es hat Jahrtausende im Fels verbracht und weiß erst jetzt, daß es Sterne gibt. Der Captain könnte eine Vereinbarung mit ihm treffen. Nur der Staat darf Uran abbauen; Privatleute dürfen nicht einmal Geigerzähler besitzen. Eine wunderbare Gelegenheit für den Captain!« »Vielleicht hast du recht«, sagte Hawkins.

»Ich habe todsicher recht! Du hättest die drei Männer sehen sollen, wie sie mich beobachteten. Du hättest sehen sollen, wie sie mich nach zwei Minuten hinausgeschubst haben.«

Hawkins rieb sich das unrasierte Kinn. »Wie lange kannst du sie noch aufhalten?« fragte er.

»Aufhalten? Sie sind längst wieder gestartet!«

»Was! Warum rufst du dann an? Warum hast du sie weggelassen?«

»Die Kerle waren zu dritt und bewaffnet«, erklärte Vernadsky ihm. »Was hätte ich gegen sie ausrichten können?«

»Okay, aber was tun wir jetzt?«

»Du kommst mit und verhaftest sie«, antwortete Vernadsky grinsend. »Ich habe dafür gesorgt, daß ihr Triebwerk nach spätestens zehntausend Kilometer aussetzt. Und ich habe eine Radiosonde eingebaut.« »Aber wir drehen das Ding allein«, warnte Vernadsky ihn. »Nur wir beide und dein Raumschiff. Die anderen sitzen fest, und wir haben drei Kanonen. Wir lassen uns sagen, wo der Uranasteroid zu finden ist, fliegen dorthin und benachrichtigen dann die Raumpolizei. Wir bringen drei Uranschmuggler, ein riesiges Silicony und die Koordinaten eines neuen Uranasteroiden mit. Dann wirst du Leutnant, und ich bekomme einen Posten auf der Erde, kapiert?«